Montag, 12. September 2016

Liebe Frau Merkel, Flüchtlinge müssen bei uns doch nicht gleich Einwanderer werden

Liebe Frau Merkel,

Ich sage das Ihnen aus meiner eigenen Erfahrung: Sie sind einem kleinen Missverständnis auferlegen, wie auch viele andere im Land. Flüchtlinge sind keine Immigranten. Sie werden nur von so schlimmen Dingen in ihrem Ursprungsort heimgesucht, dass sie es sogar vorziehen, es unter lebensbedrohenden Umständen zu verlassen, um verbittert das hinter sich lassen, was uns Menschen am wichtigsten ist: die Angehörigen, die Freunde, die Kultur, unser Heim, unsere Umgebung, in der wir aufgewachsen sind.

Das heißt, im Umkehrschluss, dass sie auf die Dauer lieber zu ihrem Ursprung zurückkehren würden als für immer in Deutschland zu bleiben. Denn ob sie hier in Deutschland oder anderswo ankommen, die Sehnsucht nach der Heimat wird sie zeitlebens begleiten. Und, sollten sich die Bedingungen verbessern, werden sie wieder zurückkehren wollen. Nur einige, bei denen sich die Missstände verewigen, oder die vielleicht ihren Lebensgefährten in jemanden aus dem Gastland gefunden haben, werden wirklich bleiben wollen. Doch das wird immer eine Minderheit sein.

Als Deutscher in Chile aufgewachsen, kam ich mit 22 Jahren zum ersten Mal überhaupt nach Deutschland. Es verblüffte mich immer wieder, dass die Menschen nun um mich herum ganz ernsthaft dachten, hier in Deutschland zu sein sei das beste überhaupt was mir passieren konnte. Ich wollte viele Jahre lang aber eigentlich nur zurück, nur das Ziel eines sinnvoller Abschluss für das Studium hielt mich. Meine guten Freunde hier verstanden es überhaupt nicht. Ich zitierte ihnen vom römischen Historiker Tacitus, der vor zwei Jahrtausenden meinte, die Germanen könnten gar nicht von Einwanderern abstammen, sondern müssten schon immer da gewesen sein, denn wer würde schon in so ein Land ziehen, mit solch scheußlich rauem Wetter?

Inzwischen bin ich über mehrere Jahrzehnte aus beruflichen Gründen in vielen Teilen der Welt gewesen. Unter anderem in Hamburg, in Cuba, in Australien, in Stuttgart, in Venezuela, in Asien, in Spanien. Und jetzt bin ich Rumänien. Überall sagte man mir, dies sei der beste Fleck auf Erden. Die freundlichsten Menschen seien da, die allerschönsten Landschaften, die hübschesten Frauen, die besten Witze würden erzählt. Und das ist ja auch gut so, vielleicht ist es nicht einmal falsch, jeder sieht es halt aus seiner Sicht.

Was sollte man also tun?

Vor Jahrzehnten, beim Aufbau nach dem Krieg und mitten im Wirtschaftswunder, brauchte die Bundesrepublik dringend Arbeitskräfte. Man lud aus Italien, Spanien, Jugoslawien, Griechenland, der Türkei Gastarbeiter ein. Gäste, die befristet hier tätig sein sollten. Da es in diesen Ländern an Arbeitsplätzen mangelte, kamen diese Leute. Und fast alle sind auch wieder gegangen.

Zugegeben, es gab Härtefälle und viel Dummheit im Umgang mit den Menschen. Doch es wurde sehr  viel mehr Gutes erreicht. In Madrid hatte ich über viele Jahre eine erstklassige Assistentin, die perfekt deutsch sprach und schrieb. Ihr Vater war einige Jahre Gastarbeiter im Ruhrgebiet gewesen, sie ging als Kind auf eine Schule in Deutschland. Und das gab ihr dann im Heimatland einen großen Vorteil, weil sie die soziale und sprachliche Kompetenz mitbrachte, um mit "Alemanes" ausgezeichnet arbeiten zu können.

Man wird einwenden, dass sich doch zu viele hier bei uns festsetzen. Die Türken in Kreuzberg. Die Italiener mit einer Eisdiele in jedem Ort. Sicher, und wir brauchen sie auch in Deutschland, um unsere Sozialleistungen und Renten halten zu können. Doch praktisch alle meine Freunde und Bekannte mit Migrationshintergrund, erzählen mir von dem Häuschen, das sie sich für den Rückzug in Ostanatolien oder in der Toscana gebaut haben. Hier in Rumänien sind Millionen von Menschen ausgewandert. Doch nun, da Rumänien in all den letzten Jahren beachtliche Raten im Wirtschaftswachstum aufweist, kommen mehr und mehr zurück, und sagen mir wie froh sie sind, wieder in ihrer Heimat zu sein.

Flüchtlinge und Asylanten, die nach Deutschland kommen, weil es für sie unzumutbar geworden ist, in ihrer Heimat zu bleiben, sind keine Immigranten. Es sollten unsere Gäste sein. Sie aufzunehmen ist eine Hilfeleistung, ist humanitärer Schutz, den eventuell auch jeder von uns mal beanspruchen muss, wer weiß. Man integriert sie so gut, wie man halt Besucher behandelt. Sie können wohnen, arbeiten und mitmachen. Aber das verlangt doch keine Integrationspolitik von uns, kein Zwang, unsere Kultur übergestülpt zu bekommen, unsere Sprache lernen zu müssen. Denn wenn das Problem, das sie vertrieb, gelöst ist, werden sie freiwillig zurück wollen. Unsere Außenpolitik sollte auch alles nur erdenkliche tun, damit in den Heimatländern dieser Leute bald wieder ein menschenwürdiges Leben möglich wird. Konkret bedeutet das meist Befriedung und wirtschaftliche Entwicklung. Damit leistet man nicht nur Gutes, man beschleunigt auch die Rückführung.

Und die Deutschen unter uns, die so große Angst haben vor den Anderen, werden sich vor Gästen, die wieder gehen werden, nicht so sehr fürchten.

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