Donnerstag, 15. August 2013

Mitarbeiter wie Erwachsene behandeln?


Ich zitiere einmal die ersten Absätze aus einem Beitrag aus “Sein”, einem anregenden Print- und Onlinemedium:

“Weltweit starren Manager fassungslos auf die brasilianische Firma Semco, eine sehr breit aufgestellte Dienstleistungsfirma, die von Industrieequipment bis zu Postlösungen in diversen Feldern tätig ist: Was dort passiert, widerspricht allem, an was sie glauben. Die 3000 Mitarbeiter wählen ihre Vorgesetzten, bestimmen ihre eigenen Arbeitszeiten und Gehälter. Es gibt keine Geschäftspläne, keine Personalabteilung, fast keine Hierarchie. Alle Gewinne werden per Abstimmung aufgeteilt, die Gehälter und sämtliche Geschäftsbücher sind für alle einsehbar, die Emails dafür strikt privat und wie viel Geld die Mitarbeiter für Geschäftsreisen oder ihre Computer ausgeben, ist ihnen selbst überlassen.

Was für heutige Personalchefs klingen mag, wie ein anarchischer Alptraum, ist in Wirklichkeit eine Erfolgsgeschichte. Seit das Unternehmen von Inhaber Ricardo Semler umgestellt wurde, stiegen die Gewinne von 35 Millionen auf 220 Millionen Dollar. Und nicht nur die Zahlen geben Semler recht, sondern vor allem die Mitarbeiter: Die Fluktuationsrate bei Semco liegt unter einem Prozent.

Das Rezept ist einfach: Behandele deine Mitarbeiter wie Erwachsene, dann verhalten sie sich auch so. Je mehr Freiheiten du ihnen gibst, desto produktiver, zufriedener und innovativer werden sie. Ein Unternehmen besteht aus erwachsenen gleichberechtigten Menschen, nicht aus Arbeitskräften. Jeder hat das Recht, sich frei zu entfalten und eine gesunde Balance zwischen Beruf und Privatleben zu finden. Entgegen allem, was man aktuell zu glauben scheint, machen Druck und Stress Menschen nicht produktiv, sondern ganz einfach nur kaputt. Und dabei verliert das Unternehmen letztlich genauso wie der Mensch.”

(Es lohnt sich sicher, den kompletten Text zu lasen. Den finden Sie unter: http://www.sein.de/gesellschaft/neue-wirtschaft/2010/die-befreiung-der-arbeit-das-7-tage-wochenende.html ).

Diesen Link habe ich in meinem Twitter- und Facebook-Account angezeigt um interessierte Freunde darauf aufmerksam zu machen. Darauf antwortete mein Bruder Bruno:
"Das Buch von Ricardo Semler "Das Semco System" habe ich schon vor 20 Jahren mit Bewunderung gelesen und frage mich, wieso das nicht überall wo es möglich ist so gemacht wird."
Bruno ist Kapellmeister und Dirigent und hat, seinen Erzählungen zufolge, in seinem Berufsleben in der Musikerwelt ähnliche Erfahrungen mit Organisationen gemacht, wie ich im etwas weniger besinnlichen Milieu des Automobilhandels. Ich beantworte jetzt mal seine Frage mit den Erkenntnissen, die ich darüber im Laufe der Jahre gesammelt habe.

Wenn wir uns in der Natur andere in Gruppen lebende Tiere ansehen, ob das jetzt Hühner, Paviane oder Wölfe sind, finden wir da pyramidale Hierarchien, Statuspositionen, Hackordnungen - wie in unseren DAX-Konzernen und Opernhäusern auch. Jeder kämpft um seine Position zu halten oder höher zu kommen, nach der Regel, nach oben Bückling machen, auf die unten treten. Die Alpha-Tiere erfahren, einigen Forschungen zufolge, sogar hormonelle Änderungen, so dass sie unverhältnismäßig bissig auf diejenigen reagieren, die ihnen ihre Rolle streitig machen.

Strenge Hierarchie und klare Arbeitsteilung - oben wird gedacht, unten wird gemacht - sind offensichtlich Naturgesetz.

Nun hat aber gerade diese Natur uns Menschen ein Sonderrecht zugestanden: Neben den üblichen Instinkten und Hormonausschüttungen zur Verhaltenssteuerung bekamen wir ins Gepäck für unseren Lebensweg noch eine besonders gut ausgebildete vordere Cortex, mit der man relativ nüchtern brisante Dinge durchdenken kann. Man kann sich also damit zum Beispiel die Frage stellen, ob die überkommenen Verhaltensmuster des Zusammenarbeitens noch zielführend sind oder ob sich da nicht effektivere Strategien entwickeln lassen.

Größere Unternehmen haben schon lange festgestellt, dass hier Handlungsbedarf besteht. Ihre Management-Trainings-Kurse, die jeder werdende leitende Angestellte absolvieren muss, bevor er höhere Weihen bekommen kann, lehren das schon seit mehr als drei Jahrzehnten. Allerdings sieht man in der Praxis nicht so sehr, was die Theorie so fleißig lehrt.

Es bedarf viel Zeit, Geduld und Willenskraft, und auch eine gehörige Portion Macht, um hier tatsächlich, selbst peu a peu und in kleinen Dosen, Änderungen zu erreichen. Ricardo Semler ist mit Semco, wie man in seinen interessanten Büchern lesen kann, auch nur schrittweise zu dem gekommen, was das Unternehmen heute ist. Ihm sind viele Fehler unterlaufen, er ist lange falsche Fährten gefolgt. Dabei hatte er, was viele anderen in einer Organisation nicht haben: die Macht, denn er war der Besitzer und übernahm das Unternehmen relativ jung, nachdem sein Vater starb.

Semco ist bei weitem nicht der einzige Betrieb, der Erfolg aufgrund solch einer Umstellung der Arbeitswelt erreicht hat. Doch gibt es wenige, die bis jetzt so konsequent waren. Ein anderes Beispiel, wie die richtige Einstellung zum Mitarbeiter in einem mittelständigen Industriebetrieb wirkt, beschreibt recht munter Detlef Lohmann im Buch “Und Mittags gehe ich heim - die völlig andere Art, ein Unternehmen zum Erfolg zu führen” . (Siehe auch hier: http://www.brandeins.de/archiv/2012/das-gute-leben/der-beta-chef.html ). Sein Unternehmen Allsafe Jungfalk wäre ohne die sukzessiv verlaufene Entwicklung zu einer Hierarchie-entschlackten Organisation im Standort Deutschland gar nicht mehr überlebensfähig.

Hier gibt es kein allgemeines Rezept. Das würde nur schiefgehen. Die ideale Organisationsform ist von der Aufgabe und von Menschen bestimmt. Und die Welt ist bunt.  Doch selbst da, wo enge Grenzen gesetzt sind, kann jeder, der Mitarbeiter zu leiten hat, zum Beispiel Folgendes tun:

  • Den Menschen mehr Freiraum für Entscheidungen geben. Viele Wege führen zum Ziel, nicht nur die des Chefs.
  • Den Menschen beibringen, Verantwortung zu tragen.
  • Diese Verantwortung nicht gleich wieder einziehen, wenn mal etwas schief läuft.
  • Die Organisation um die Menschen bauen - statt Menschen in die Kästchen eines vorgedachten Organigrams einzuzwängen.
  • Die Arbeitszeiten, soweit es technisch geht, von den Mitarbeitern selbst gestalten lassen. Wenn die Verantwortungsfrage richtig geklärt wurde, wird das auch immer funktionieren. Eine Eule arbeitet morgens mehr schlecht als recht, ein Frühaufsteher fängt am frühen Nachmittag an zu gähnen.
  • Menschen respektieren. Darauf achten, dass sich auch jeder andere daran hält.
  • Vertrauen als Vorschuss schenken. Menschen respektieren das sehr und nur sehr wenige werden dann enttäuschen.  
  • Offen Information zum Unternehmen geben. Geheimnisse sind meistens Kinderkram.
  • Formulare, Regularien, festgelegte Abläufe da abschaffen, wo das Weglassen wirklich nicht zu einem Problem führt. Die meisten Verordnungen und Regeln sind überflüssig. Besser ist immer noch der allgemeine Menschenverstand. Und über den verfügt jeder.
  • Er hilft allen, die Angelegenheiten der Kunden so zu beherzigen, als wären es die eigenen.
  • Die Türen, auch die Chefs, sind immer offen. Jeder soll ungefragt hereinkommen können.
  • Er sollte mindestens einmal am Tag bei allen seinen Leuten vorbeischauen. Dabei ist er freundlich und zuvorkommend. Lobt deutlich, was zu loben ist.
  • Die steifen Hierarchien sind nicht nur deswegen da, weil das von machthungrigen Chefs so fürs beste gehalten wurde. Sie sind auch deswegen da, weil Untergebene sich gerne zu Untergebenen machen und Verantwortung und Entscheidung dem Alpha-Tier überlassen. Er sollte daher niemals eine Rückdelegation akzeptieren, auch keine Vorlage zur Entscheidung ohne die Entscheidung des Sachkundigen selbst.
  • Er setzt die Menschen da ein, wo sie gut sind. Fördert sie auch da mit Weiterbildung usw., wo sie gut sind. Es bringt meist nichts, jemand in einen Kurs zu schicken um etwas in einem Gebiet zu lernen, in dem er schwach ist.
  • Er verteilt Aufgaben mit der zugehörigen Verantwortung, keine Positionen, keine Stellenbeschreibungen.
  • Er lässt die Leute Ziele setzen. Dabei sollte immer ein Termin und ein (nur ein!) Verantwortlicher stehen. Ein Mensch sollte nicht mehr als fünf Ziele gleichzeitig verfolgen.
  • Besser wenig gute Leute als viele schlechte.
  • Er erlaubt keinem, Kritik an einem Kollegen vorzubringen, wenn dieser nicht anwesend ist.
  • Er greift bei Konflikte zwischen Kollegen sofort und beherzt ein. Am besten mit allen im Raum. Auch hier erlaubt er keine Kritik am anderen, aber doch eine Problembeschreibung. Meistens wird nach einer Aussprache die Situation bereinigt. Schwelen werden allerdings solche Konflikte meist weiterhin, denn ihre Ursache liegt in der Rivalität unter Gleichgestellten. Wenn er allerdings erreichen konnte, das Hierarchiedenken abzubauen, lassen diese Konflikte auch nach. Das dümmste ist, solche Konflikte anzufachen, “dass der bessere sich durchsetze”. Das kommt teuer.
  • Er achtet auf Loyalität. Aber nicht gegenüber ihm, sondern gegenüber dem Unternehmen.

Ich habe diese kleinen “Tricks” immer erfolgreich angewendet, erfolgreich für die Organisation, selbst unter sehr schwierigen Umständen. Sogar in unterentwickelten Ländern mit sehr einfachen Menschen, die mir mit der Beschreibung “arbeitsfaul”, “diebisch” und “dumm” zur Leitung übergeben wurden. Der Umsatz und die Erträge, die wichtigste Messlatte des wirtschaftlichen Erfolgs in meiner Branche, sind immer erstaunlich schnell und hoch gestiegen. “Glück gehabt”, wurde mir bescheinigt. Das glaube ich nicht, so eine permanente Glückssträhne gibt es nicht. Es war allerdings auch nicht mein Verdienst. Es war der Verdienst der Mitarbeiter. Die haben mit Freude und sehr effektiv gearbeitet, nachdem sie die neuen Regeln verinnerlicht hatten.

Natürlich begibt man sich hier in jeder Organisation auf dünnes Eis. Bei so einem Umdenken kann man schnell wegschliddern oder gar einbrechen und untergehen. Denn die Maßnahmen sind entgegengesetzt zu unserer normalen Intuition und deshalb wahrscheinlich auch der Erwartungshaltung der Vorgesetzten. Die werden vielleicht gar nicht abwarten, bis sich die Erfolge zeigen, sondern diesen Revoluzzer schon vorher abgehakt oder in die Wüste geschickt haben.

Aber es ändert sich doch überall vieles, die Dinge laufen langsam in diese Richtung. Mehr und mehr Kompetenz wird aufgeteilt, Menschen definieren flexibel, wie was zu tun ist, arbeiten in Gruppen an bestimmten Aufgaben, motivieren sich selbst an ihr. Seltener und seltener sind taylorische Arbeitsstrukturierungen wirklich erfolgreich.Sie sind nicht mehr zeitgemäß und effektiv schon gar nicht.

Sehen Sie gerne Krimis? Dann können Sie beide Ansätze hier gut illustriert vorfinden, wenn Sie die Polizeimannschaften in den Serien “Alles Klara” und “Wallander” vergleichen. Im ersteren herrschen noch Zustände wie im Alten Rom, die Vorgesetzten sind Despoten (was, dem Himmel sei Dank, in diesem Fall die Mitarbeiter nicht hindert, motiviert und auf ihre Weise die Fahndung durchzuführen und regelmäßig nach weniger als einer Stunde den Täter überführt zu haben). Es wirkt aber alles recht unecht. Auf die Dauer können sich doch solche Vorgesetzte nicht halten, nicht einmal in Zimbabwe.

Bei Wallander ist die Sache subtiler (wenn auch zumeist unter sehr blutigen Umständen). Wallander weiß, dass er am besten führt, wenn er loslässt. Seine Meinung hält er dabei nicht hinter dem Zaun, doch lässt er viel gewähren. Was er seinen Kollegen sagt, ist eher die Meinung eines erfahrenen Kommissars und Menschen, aber nicht die Leitlinie, die alle blind zu befolgen haben. Jeder seiner Leute setzt seine ganz persönliche Fähigkeit ein, und der Täter wird letztendlich von einem tatsächlich starken Team überführt. Echt schwedisch wahrscheinlich.

Samstag, 10. August 2013

Siebenbürgen - was für eine schönes Land!

Kürzlich war mein Sohn und ich im bezaubernden Siebenbürgen in Rumänien- hier wohnen Deutsche seit dem 13. Jahrhundert - bei der fröhlichen Wiedereinweihung von der Kirche in Crit, dem kleinen Deutschkreutz, die auch ihre 200 Jahre alte Orgel renoviert bekam, dank der Michael-Schmidt-Stiftung.


Die Gegend dort nennt man Haferland - man kann herrlich Spazieren gehen, die Natur genießen und die bewegte und interessante Geschichte der Kirchenburgen studieren.