Montag, 28. April 2014

Das Kleinhirn und die Neo-Despoten

Nun habe ich es endlich begriffen. Nach fast 64 Jahren auf dieser Erde und der Lektüre mehrerer Sachbücher zum Thema.

Allein das Kleinhirn entscheidet. Ein großes braucht man dafür offensichtlich nicht. Und das alles in Nanosekunden, so dass wir es selbst gar nicht mitbekommen. Gefühle und ein paar locker angesammelte Erfahrungen sind ausschlaggebend. Für längere Gedankengänge ist da kein Platz, schließlich geht es ja um ein Kleinhirn. Zack! So wird gedacht.

Das Großhirn produziert dann nur noch im Nachhinein Argumente für diese Entscheidung. Falls gewünscht. Ist sozusagen sein Pressesprecher. Von der Entscheidung selbst ist es ausgeschlossen. Dabei trickst hier das Kleinhirn: Es lässt den großen Bruder geschickt im Glauben, er selbst, nach langem Für und Wider, habe die Entscheidung getroffen. Deshalb denkt das Großhirn auch nicht im Traume daran, seine Meinung zu ändern.

Man kann also niemand umstimmen, niemand mit irgendwelchen Fakten überzeugen. Es hat keinen Zweck. Das Kleinhirn hat hinter den Kulissen schon alle notwendigen Strippen gezogen. Was immer die Entscheidungen unterstützt, wird vom bewussten Großhirn dann auch freudig registriert und gerne retweetet. Alles, was dann nicht passt, wird ausgeblendet. Gibt es gar nicht. Oder, wenn das Getöse der kognitiven Dissonanz tatsächlich zu groß wird und einfach die Mauer des Ignorierens nicht mehr standhält, dann produziert das Großhirn in voller Kapazität Argumente für die ihm von der kleinen Schwester eingeflößte Meinung und gegen alles, was sich dieser widersetzt. Mangelt es möglicherweise dann an stichhaltigen oder sachlichen Argumenten, wird es persönlich und beleidigend. Oder attackiert einen anderen wunden Punkt des Gegners, der mit der Sache gar nicht im Zusammenhang steht.

Eheleute kennen das vom Partner. Eltern von ihren Teenies und Teenies von ihren Eltern.

Es ist also nicht so, dass die Obrigkeit von der göttlichen Eingebung abgeschnitten wurde, weil der Messenger im Bierhaus versackte, wie Karl Valentin vermutete. Die Wissenschaft hat festgestellt, dass es das Kleinhirn ist, dass die Kommandozentrale gekapert hat und die Vernunft außen vor lässt. Bei der Obrigkeit und bei allen anderen. Auch bei mir.

Doch was passiert hier? Warum schreibe ich das?

Sollte sich mein Großhirn tatsächlich emanzipieren wollen? Gibt es eine Chance, dass wir uns von der unendlichen Dummheit in unserem Universum befreien könnten, in die uns die Kleinhirne dieser Welt verdammt haben?

Nein, keine Bange. Auch hier hat das Kleinhirn weiterhin die volle Kontrolle. Es trickst nur wieder. Reiner Nebel. Es ist ihm wichtig, dass das Großhirn glaubt, es hätte irgendein Recht auf Mitbestimmung. Es soll halt nur nicht merken, dass dem überhaupt nicht so ist. Daher gönnt man ihm gelegentliche Freiräume, völlig ungefährlich für den tatsächlichen Machterhalt.

Genauso wie in diesen neuen Demokratien in Ost und West, in denen im Grunde ein starker Mann allein alle Fäden in der Hand hält, und es trotzdem eine Spielwiese für Andersdenkende gibt. Wie der Sandkasten in der IT-Welt. Darin kann man machen, was man will. Bewirken wird man allerdings nichts, die tatsächliche Entscheidungsbefugnis bleibt dem Häuptling und den Seinen vorbehalten. Und ich hege den Verdacht, dass viele von denen gar kein Großhirn haben. Allerhöchstens zwei kleine. Mehr brauchen sie auch gar nicht.