Nun habe ich
es endlich begriffen. Nach fast 64 Jahren auf dieser Erde und der Lektüre
mehrerer Sachbücher zum Thema.
Allein das
Kleinhirn entscheidet. Ein großes braucht man dafür offensichtlich nicht. Und
das alles in Nanosekunden, so dass wir es selbst gar nicht mitbekommen. Gefühle
und ein paar locker angesammelte Erfahrungen sind ausschlaggebend. Für längere
Gedankengänge ist da kein Platz, schließlich geht es ja um ein Kleinhirn. Zack!
So wird gedacht.
Das Großhirn
produziert dann nur noch im Nachhinein Argumente für diese Entscheidung. Falls
gewünscht. Ist sozusagen sein Pressesprecher. Von der Entscheidung selbst ist es ausgeschlossen. Dabei trickst
hier das Kleinhirn: Es lässt den großen Bruder geschickt im Glauben, er selbst,
nach langem Für und Wider, habe die Entscheidung getroffen. Deshalb denkt das
Großhirn auch nicht im Traume daran, seine Meinung zu ändern.
Man kann
also niemand umstimmen, niemand mit irgendwelchen Fakten überzeugen. Es hat keinen Zweck. Das Kleinhirn hat hinter den
Kulissen schon alle notwendigen Strippen gezogen. Was immer die Entscheidungen unterstützt, wird vom bewussten Großhirn dann auch freudig
registriert und gerne retweetet. Alles, was dann nicht passt, wird
ausgeblendet. Gibt es gar nicht. Oder, wenn das Getöse der kognitiven Dissonanz
tatsächlich zu groß wird und einfach die Mauer des Ignorierens nicht mehr
standhält, dann produziert das Großhirn in voller Kapazität Argumente für die
ihm von der kleinen Schwester eingeflößte Meinung und gegen alles, was sich
dieser widersetzt. Mangelt es möglicherweise dann an stichhaltigen oder
sachlichen Argumenten, wird es persönlich und beleidigend. Oder attackiert
einen anderen wunden Punkt des Gegners, der mit der Sache gar nicht im
Zusammenhang steht.
Eheleute kennen das vom Partner. Eltern von ihren Teenies und Teenies von ihren Eltern.
Es ist also
nicht so, dass die Obrigkeit von der göttlichen Eingebung abgeschnitten wurde,
weil der Messenger im Bierhaus versackte, wie Karl Valentin vermutete. Die
Wissenschaft hat festgestellt, dass es das Kleinhirn ist, dass die
Kommandozentrale gekapert hat und die Vernunft außen vor lässt. Bei der
Obrigkeit und bei allen anderen. Auch bei mir.
Doch was
passiert hier? Warum schreibe ich das?
Sollte sich
mein Großhirn tatsächlich emanzipieren wollen? Gibt es eine Chance, dass wir
uns von der unendlichen Dummheit in unserem Universum befreien könnten, in die uns
die Kleinhirne dieser Welt verdammt haben?
Nein, keine
Bange. Auch hier hat das Kleinhirn weiterhin die volle Kontrolle. Es trickst
nur wieder. Reiner Nebel. Es ist ihm wichtig, dass das Großhirn glaubt, es
hätte irgendein Recht auf Mitbestimmung. Es soll halt nur nicht merken, dass
dem überhaupt nicht so ist. Daher gönnt man ihm gelegentliche Freiräume, völlig
ungefährlich für den tatsächlichen Machterhalt.
Genauso wie in diesen neuen Demokratien in Ost und West, in denen im Grunde ein starker Mann allein alle Fäden in der Hand hält, und es trotzdem eine Spielwiese für Andersdenkende gibt. Wie der Sandkasten in der IT-Welt. Darin kann man machen, was man will. Bewirken wird man allerdings nichts, die tatsächliche Entscheidungsbefugnis bleibt dem Häuptling und den Seinen vorbehalten. Und ich hege den Verdacht, dass viele von denen gar kein Großhirn haben. Allerhöchstens zwei kleine. Mehr brauchen sie auch gar nicht.