Habe mal wieder ein Email von Avaaz bekommen mit einem Aufruf, eine Petition zu unterstützen. Statt diese zu unterzeichnen, was ich sonst mal tat, habe ich dieses Mal den Leuten geantwortet, die mir die Email zusandten. Vermutlich war's das dann. Aus diesem Verdacht heraus kopiere ich meine Antwort auch noch hier.
Lieber Alex Wilks, Jeremy, Christoph, Marie, Ian, David,
Paul, Ricken und das ganze Avaaz-Team,
Sie schicken mir Emails mit Aufrufen, bei Ihrer
Organisation Petitionen zu unterschreiben und für sie Geld zu spenden. Ich mag
Ihr Engagement, wenn es darum geht, Menschen in Not zu helfen oder die Natur zu
schützen.
Ihr letztes Schreiben allerdings widerspricht meinem
Empfinden, sich für die richtige Sache einzusetzen. Ich werde mir daher
erlauben, auf dieses genauso polemisch zu antworten, wie Sie das Thema angehen.
Eine plakative Stellungnahme hilft ja manchmal, zum Denken anzuregen.
Sie schreiben über das riesige Steuerschlupfloch, das
jährlich 1 Billion Euro verschlingt, weil global agierende Unternehmen und
reiche Menschen ihre Gewinne und gehorteten Reichtümer auf Steueroasen
verschieben. Würden diese entgangenen Steuern bezahlt, schreiben Sie, könnte
man weltweit die Armut beseitigen, jedem Kind einen Schulplatz bieten und
umweltfreundliche Investitionen verdoppeln.
In der Tat ist 1 Billion, also eine 1 gefolgt von 12
Nullen, eine große Zahl. Mit so viel Euro könnte man viel Gutes tun. Nun frage
ich Sie aber, wer? Wer soll da so viel Gutes tun? Etwa unsere Regierungen, die
ja die Steuern einnehmen?
Das weltweite jährliche Steueraufkommen ist etwa zehnmal
so groß wie die von Ihnen genannte Zahl, die Steuerschlupflöcher verschlingen.
Und was machen die Regierungen dieser Erde mit diesem vielen Geld? Die Armut
beseitigen? Jedem Kind einen Schulplatz bieten? Verdoppeln sie die
umweltfreundlichen Investitionen? Ihre Staatshörigkeit in Ehren, doch das macht
mit dem vorhandenen Geld keine Obrigkeit und keine Verwaltung wirklich.
Dass diese jetzt aber ein 10% höheres Steueraufkommen nun
doch dafür verwenden würden, ist ja wohl sehr verwegenes Wunschdenken. Viel eher
ist zu erwarten, dass das gleiche Trauerspiel weitergeht, das wir bereits haben,
eben nur auf höherem Niveau.
Es gäbe zum ersten ein paar Kriege mehr. Das ist schon
seit Menschenbeginn so, dass man sich um das liebe Geld wegen die Köpfe einhaut.
Es gäbe ja mehr Gründe, Krieg zu führen, wenn mehr zum Wegnehmen auftaucht. Und
es gäbe ja auch mehr Mittel, Kriege zu finanzieren.
Es gäbe auch mehr Geld, das korrupte Politiker in ihre
Taschen stecken könnten. In den meisten Ländern der Welt ist das leider der zu
erwartende Ausgang, wenn der Staatsapparat zu mehr Einnahmen kommt.
In den restlichen Ländern wäre die Sache doch auch nicht
besser, wie die Erfahrung lehrt. Wahrscheinlich würden da die Politiker das
zusätzliche Geld dafür verwenden, um die nächste Wahl zu gewinnen. Oder um
ihren Ego-Trip auf Kosten der Allgemeinheit noch eine Stufe höher zu schrauben.
Machthaber sind ja auch nur Menschen. Und Menschen ticken so: Erst komme ich.
Dann meine Verwandten. Dann meine Freunde. Und die anderen können mich mal.
Vielleicht ist das gerade mal in der Schweiz anders, wo
keiner die Regierenden kennt. Und sicher gibt es auch unter den Politikern ein
paar Ausnahmen, wie Nelson Mandela oder der sympathische Präsident José Mujica
in Uruguay, der weiterhin so bescheiden wie eh und je lebt. Solchen könnte man
ja gerne ein gestiegenes Steueraufkommen gönnen. Doch bei all den anderen? Die
würden mit dem zusätzlichen Geld noch ein Opernhaus ins Wasser setzen oder
einen weiteren Flugplatz, der nicht fertig wird, in Bielefeld oder sonst wo
bauen.
Und das Schlimmste ist: Verbesserte Einnahmen steigern
die Kreditwürdigkeit. Die Regierungen würden noch mehr Schulden aufnehmen, die
Finanzlücken noch größer werden.
Sehen Sie sich als abschreckendes Beispiel das Venezuela
von heute an. Aufgrund des gestiegenen Ölpreises hatte das Land jahrelang
staatliche Einnahmen in einer Größenordnung, die weit die Wirtschaftskraft des
europäischen Marshall Plans nach dem Zweiten Weltkrieg übersteigt. Es waren wohl
mehr als 1,5 Billionen Euro. Und was ist mit dem vielen Geld passiert? Ein
bisschen davon ging an soziale Ausgaben und kam armen Menschen zugute -
allerdings dürfte das höchstens einen einstelligen Prozentsatz der gesamt zur
Verfügung stehenden Summe ausgemacht haben. Der Rest wurde verprasst, gestohlen
oder benachbarten Diktatoren zur Verfügung gestellt - um den maroden Zustand in
deren Ländern zu kaschieren und deren Machterhaltung zu verlängern. Und jetzt
ist Venezuela verschuldet wie nie zuvor, die Wirtschaft zerschlagen. Die
Menschen stehen Schlange um an Grundnahrungsmittel oder einfache Hygieneartikel
zu kommen. Die Party ist vorbei, die Misere geblieben.
Und was hat Apple, das Unternehmen das Sie anprangern,
gemacht? Oder Google? Diese bösen Organisationen, die die von Politikern
ersonnenen oder übersehenen Schlupflöcher doch tatsächlich ausnutzen um Steuern
zu sparen und Kosten zu senken? Während das oben beschriebene in Venezuela
passierte; oder während im gleichen Zeitraum der USA-Präsident in den Irak
einmarschierte und dann, nachdem 150.000 oder mehr Menschen dort umgekommen
sind, sein Nachfolger nun wieder die Truppen abzieht; in der Zeit des EU-Zerfalls,
in dem jedes Land nur nach der eigenen Zweckdienlichkeit in der Union trachtete;
in den gleichen Jahren entwarf Apple zum Beispiel das iPhone, das iPad und ein
Rechnersystem, das vielen, vielen Menschen Nutzen bringt und echte Freude
macht. Billig sind sie nicht, die Apple-Geräte, aber was ich dafür ausgab ist
nur ein Bruchteil der Steuern gewesen, die ich abführen musste. Für das Geld
hat mir Apple allerdings viel - viel! - mehr gegeben als der Staat, der so viel
mehr kassierte.
Oder Google, die arge Krake, die ebenfalls ein ehrenamtliches
Steuerzahlen verweigert, indem es bestehende Regeln zu seinen Nutzen anwendet?
Ich kann dank Google im Netz jede Information finden, und brauche dafür nichts
zu zahlen. Vor zwanzig Jahren hätte ich nicht geglaubt, dass so etwas überhaupt
möglich ist. Ich habe bei Google ein Email-Postfach, es kostet mich nichts. Ich
nutze einen Blog von Google. Gratis. Ich kann jede Adresse in traumhaften
Luftaufnahmen auf Google Earth finden. Umsonst. YouTube verbindet mit dem
Hochladen der Familienvideos meine weit verstreute Sippe. Kostenlos. Nun ja, es
erscheint etwas Werbung, und meine Daten werden gesammelt. Die Werbung stört
mich nicht, auf jeden Fall weniger als das selbstgefällige Geschwätz der
Politiker in den Fernsehnachrichten, für welche ich auch noch gezwungen werde,
Gebühren zu bezahlen. Und was meine Daten angeht, bin ich der Meinung, dass
diese bei Google immer noch besser aufgehoben sind als beim Staat. Denn
Google hat zwar sicher einiges mehr an Macht, als es braucht, aber es wird
bestimmt nicht nachts kommen und mich abführen, weil ich nicht genehme
Informationen nutze.
Auch Sie erreichen Ihre Zielgruppe mit Emails. Dank einem
System, das kein Staat oder Regierung dieser Erde jemals auf die Beine gebracht
hätte. Stellen Sie sich vor, Sie wären - wie vor einigen Jahren noch - auf die
Post angewiesen, statt portofrei Emails verschicken zu können. Sie müssten also
Briefmarken kaufen, sie auf Umschläge kleben und diese mit der Adresse versehen.
Wird es Ihnen nicht klar, dass diese globalen Unternehmen wirklich etwas tun
für uns, die Allgemeinheit? Ganz zu schweigen von den Initiativen von Bill und
Melinda Gates mit ihrer Stiftung, die bereits mehr Gutes in Entwicklungsländern
erreicht hat als alle zusammengenommene staatliche Entwicklungshilfe vorher.
Liebes Avaaz Team, Sie unterstützen die falschen. Die
Regierungen haben doch schon viel zu viel Macht und brauchen Ihre Hilfe und
meine Spende gar nicht. Statt die Kontrollschrauben beim Steuerzahler noch
weiter anzuziehen, sollten die lieber ihre Steuersysteme vereinfachen und
vereinheitlichen. Weil aber der jetzige Zustand ihre Macht stärkt, wird jeder
Appell in diesem Sinne ins Leere verpuffen.
Sollten Sie nicht lieber eine Petition aufsetzen, dass
solch eine Firma zum Beispiel hier, von wo ich schreibe, Straßen baut? Völlig
kostenlos für den Steuerzahler, mit Werbung finanziert? Alle hundert Meter ein
Coca-Cola Logo im Asphalt, und wir hätten endlich ein brauchbares Straßennetz
in Rumänien.