Dienstag, 11. Juni 2013

Avaaz hilft auch mal jenen, denen nicht mehr zu helfen ist


Habe mal wieder ein Email von Avaaz bekommen mit einem Aufruf, eine Petition zu unterstützen. Statt diese zu unterzeichnen, was ich sonst mal tat, habe ich dieses Mal den Leuten geantwortet, die mir die Email zusandten. Vermutlich war's das dann. Aus diesem Verdacht heraus kopiere ich meine Antwort auch noch hier.


Lieber Alex Wilks, Jeremy, Christoph, Marie, Ian, David, Paul, Ricken und das ganze Avaaz-Team,

Sie schicken mir Emails mit Aufrufen, bei Ihrer Organisation Petitionen zu unterschreiben und für sie Geld zu spenden. Ich mag Ihr Engagement, wenn es darum geht, Menschen in Not zu helfen oder die Natur zu schützen.

Ihr letztes Schreiben allerdings widerspricht meinem Empfinden, sich für die richtige Sache einzusetzen. Ich werde mir daher erlauben, auf dieses genauso polemisch zu antworten, wie Sie das Thema angehen. Eine plakative Stellungnahme hilft ja manchmal, zum Denken anzuregen.

Sie schreiben über das riesige Steuerschlupfloch, das jährlich 1 Billion Euro verschlingt, weil global agierende Unternehmen und reiche Menschen ihre Gewinne und gehorteten Reichtümer auf Steueroasen verschieben. Würden diese entgangenen Steuern bezahlt, schreiben Sie, könnte man weltweit die Armut beseitigen, jedem Kind einen Schulplatz bieten und umweltfreundliche Investitionen verdoppeln.

In der Tat ist 1 Billion, also eine 1 gefolgt von 12 Nullen, eine große Zahl. Mit so viel Euro könnte man viel Gutes tun. Nun frage ich Sie aber, wer? Wer soll da so viel Gutes tun? Etwa unsere Regierungen, die ja die Steuern einnehmen?

Das weltweite jährliche Steueraufkommen ist etwa zehnmal so groß wie die von Ihnen genannte Zahl, die Steuerschlupflöcher verschlingen. Und was machen die Regierungen dieser Erde mit diesem vielen Geld? Die Armut beseitigen? Jedem Kind einen Schulplatz bieten? Verdoppeln sie die umweltfreundlichen Investitionen? Ihre Staatshörigkeit in Ehren, doch das macht mit dem vorhandenen Geld keine Obrigkeit und keine Verwaltung wirklich.

Dass diese jetzt aber ein 10% höheres Steueraufkommen nun doch dafür verwenden würden, ist ja wohl sehr verwegenes Wunschdenken. Viel eher ist zu erwarten, dass das gleiche Trauerspiel weitergeht, das wir bereits haben, eben nur auf höherem Niveau.

Es gäbe zum ersten ein paar Kriege mehr. Das ist schon seit Menschenbeginn so, dass man sich um das liebe Geld wegen die Köpfe einhaut. Es gäbe ja mehr Gründe, Krieg zu führen, wenn mehr zum Wegnehmen auftaucht. Und es gäbe ja auch mehr Mittel, Kriege zu finanzieren.

Es gäbe auch mehr Geld, das korrupte Politiker in ihre Taschen stecken könnten. In den meisten Ländern der Welt ist das leider der zu erwartende Ausgang, wenn der Staatsapparat zu mehr Einnahmen kommt.

In den restlichen Ländern wäre die Sache doch auch nicht besser, wie die Erfahrung lehrt. Wahrscheinlich würden da die Politiker das zusätzliche Geld dafür verwenden, um die nächste Wahl zu gewinnen. Oder um ihren Ego-Trip auf Kosten der Allgemeinheit noch eine Stufe höher zu schrauben. Machthaber sind ja auch nur Menschen. Und Menschen ticken so: Erst komme ich. Dann meine Verwandten. Dann meine Freunde. Und die anderen können mich mal.

Vielleicht ist das gerade mal in der Schweiz anders, wo keiner die Regierenden kennt. Und sicher gibt es auch unter den Politikern ein paar Ausnahmen, wie Nelson Mandela oder der sympathische Präsident José Mujica in Uruguay, der weiterhin so bescheiden wie eh und je lebt. Solchen könnte man ja gerne ein gestiegenes Steueraufkommen gönnen. Doch bei all den anderen? Die würden mit dem zusätzlichen Geld noch ein Opernhaus ins Wasser setzen oder einen weiteren Flugplatz, der nicht fertig wird, in Bielefeld oder sonst wo bauen.

Und das Schlimmste ist: Verbesserte Einnahmen steigern die Kreditwürdigkeit. Die Regierungen würden noch mehr Schulden aufnehmen, die Finanzlücken noch größer werden.

Sehen Sie sich als abschreckendes Beispiel das Venezuela von heute an. Aufgrund des gestiegenen Ölpreises hatte das Land jahrelang staatliche Einnahmen in einer Größenordnung, die weit die Wirtschaftskraft des europäischen Marshall Plans nach dem Zweiten Weltkrieg übersteigt. Es waren wohl mehr als 1,5 Billionen Euro. Und was ist mit dem vielen Geld passiert? Ein bisschen davon ging an soziale Ausgaben und kam armen Menschen zugute - allerdings dürfte das höchstens einen einstelligen Prozentsatz der gesamt zur Verfügung stehenden Summe ausgemacht haben. Der Rest wurde verprasst, gestohlen oder benachbarten Diktatoren zur Verfügung gestellt - um den maroden Zustand in deren Ländern zu kaschieren und deren Machterhaltung zu verlängern. Und jetzt ist Venezuela verschuldet wie nie zuvor, die Wirtschaft zerschlagen. Die Menschen stehen Schlange um an Grundnahrungsmittel oder einfache Hygieneartikel zu kommen. Die Party ist vorbei, die Misere geblieben.

Und was hat Apple, das Unternehmen das Sie anprangern, gemacht? Oder Google? Diese bösen Organisationen, die die von Politikern ersonnenen oder übersehenen Schlupflöcher doch tatsächlich ausnutzen um Steuern zu sparen und Kosten zu senken? Während das oben beschriebene in Venezuela passierte; oder während im gleichen Zeitraum der USA-Präsident in den Irak einmarschierte und dann, nachdem 150.000 oder mehr Menschen dort umgekommen sind, sein Nachfolger nun wieder die Truppen abzieht; in der Zeit des EU-Zerfalls, in dem jedes Land nur nach der eigenen Zweckdienlichkeit in der Union trachtete; in den gleichen Jahren entwarf Apple zum Beispiel das iPhone, das iPad und ein Rechnersystem, das vielen, vielen Menschen Nutzen bringt und echte Freude macht. Billig sind sie nicht, die Apple-Geräte, aber was ich dafür ausgab ist nur ein Bruchteil der Steuern gewesen, die ich abführen musste. Für das Geld hat mir Apple allerdings viel - viel! - mehr gegeben als der Staat, der so viel mehr kassierte.

Oder Google, die arge Krake, die ebenfalls ein ehrenamtliches Steuerzahlen verweigert, indem es bestehende Regeln zu seinen Nutzen anwendet? Ich kann dank Google im Netz jede Information finden, und brauche dafür nichts zu zahlen. Vor zwanzig Jahren hätte ich nicht geglaubt, dass so etwas überhaupt möglich ist. Ich habe bei Google ein Email-Postfach, es kostet mich nichts. Ich nutze einen Blog von Google. Gratis. Ich kann jede Adresse in traumhaften Luftaufnahmen auf Google Earth finden. Umsonst. YouTube verbindet mit dem Hochladen der Familienvideos meine weit verstreute Sippe. Kostenlos. Nun ja, es erscheint etwas Werbung, und meine Daten werden gesammelt. Die Werbung stört mich nicht, auf jeden Fall weniger als das selbstgefällige Geschwätz der Politiker in den Fernsehnachrichten, für welche ich auch noch gezwungen werde, Gebühren zu bezahlen. Und was meine Daten angeht, bin ich der Meinung, dass diese bei Google immer noch besser aufgehoben sind als beim Staat. Denn Google hat zwar sicher einiges mehr an Macht, als es braucht, aber es wird bestimmt nicht nachts kommen und mich abführen, weil ich nicht genehme Informationen nutze.

Auch Sie erreichen Ihre Zielgruppe mit Emails. Dank einem System, das kein Staat oder Regierung dieser Erde jemals auf die Beine gebracht hätte. Stellen Sie sich vor, Sie wären - wie vor einigen Jahren noch - auf die Post angewiesen, statt portofrei Emails verschicken zu können. Sie müssten also Briefmarken kaufen, sie auf Umschläge kleben und diese mit der Adresse versehen. Wird es Ihnen nicht klar, dass diese globalen Unternehmen wirklich etwas tun für uns, die Allgemeinheit? Ganz zu schweigen von den Initiativen von Bill und Melinda Gates mit ihrer Stiftung, die bereits mehr Gutes in Entwicklungsländern erreicht hat als alle zusammengenommene staatliche Entwicklungshilfe vorher.

Liebes Avaaz Team, Sie unterstützen die falschen. Die Regierungen haben doch schon viel zu viel Macht und brauchen Ihre Hilfe und meine Spende gar nicht. Statt die Kontrollschrauben beim Steuerzahler noch weiter anzuziehen, sollten die lieber ihre Steuersysteme vereinfachen und vereinheitlichen. Weil aber der jetzige Zustand ihre Macht stärkt, wird jeder Appell in diesem Sinne ins Leere verpuffen.

Sollten Sie nicht lieber eine Petition aufsetzen, dass solch eine Firma zum Beispiel hier, von wo ich schreibe, Straßen baut? Völlig kostenlos für den Steuerzahler, mit Werbung finanziert? Alle hundert Meter ein Coca-Cola Logo im Asphalt, und wir hätten endlich ein brauchbares Straßennetz in Rumänien.